Quick Bites mit Streaming-Dienst Quibi – Nur wenige beißen an

Mit einem Mobile-first-Ansatz sollte Quibi der innovative, erfolgversprechende Neuling unter den Video-on-Demand-Anbietern werden. Nicht nur gewaltige Hollywood-Star-Power steckt in den Produktionen von Quibi, sondern auch 1,75 Mrd. US-Dollar an Investorengeldern. Klingt nach einer Menge Potential, doch warum nutzt den Smartphone-Streaming-Dienst kaum jemand? Wir gehen auf Ursachensuche.

Das Bild zeigt mehrere Personen, die sitzend auf ihr Smartphone sehen

Die Fakten

Die Chancen stehen gut, dass du noch nie etwas von Quibi gehört hast. Daher haben wir die wichtigsten Punkte für dich zusammengefasst:

Quibi wurde 2018 von Jeffrey Katzenberg, ehemaliger Disney-Vorsitzender und Mitbegründer von DreamWorks Animation, und Meg Whitman, der ehemaligen CEO von eBay,  gegründet. Beinahe unmerklich startete der Streamingdienst dann am 6. April 2020. Zum Start wurde ein 90-tägiges, kostenloses Probe-Abo angeboten; mittlerweile kann man die App 14 Tage lang kostenlos testen. Das Abo mit Werbung kostet 4,99 Dollar im Monat, die werbefreie Variante 7,99 Dollar. Bei uns ist lediglich das werbefreie Abo für 8,99 Euro monatlich verfügbar. Wer sich für den Download der App entscheidet, findet dort maximal 10-minütige Videos mit Hollywood-Größen wie Anna Kendrick und Christoph Waltz, die mit der sog. Turnstyle-Technologie für das Smartphone konzipiert wurden. Unterstützt wird Quibi von Studios wie Disney und Warner Media.

Die Ernüchterung

Quibi selbst sieht sich dabei gar nicht als Konkurrenz zu Netflix, Disney+ und Co., sondern als Ergänzung: Die Formate auf Quibi sind Häppchen für unterwegs – in der Straßenbahn, beim Anstehen am Bankschalter, in der Mittagspause. In sämtlichen Situationen also, in denen Zeit zu überbrücken ist. Da bieten sich Formate mit einer Dauer von maximal 10 Minuten im Grunde sehr gut an, ebenso für die geringe Aufmerksamkeitsspanne am Smartphone. Und wer konsumiert diese Hollywood-produzierten Quick Bites? Tatsächlich gar nicht mal so viele.

Am Launch-Tag konnte Quibi knapp 380. 000 Downloads verzeichnen, in der ersten Juniwoche waren es täglich nicht einmal mehr 20.000. Laut Mobile-App-Marktforscher Sensor Tower wurde die Quibi-App bisher 3,8 Mio. mal heruntergeladen. 1,5 Mio. aktive Nutzer soll Quibi tatsächlich haben. Die meisten dieser User befinden sich aber noch in der 90-tägigen Testphase. Das ist zwar kein fairer Vergleich, aber nur für den Kontext: Netflix verzeichnet im ersten Quartal 2020 182 Mio. zahlende Abonnenten. Für Quibi wird sich erst Anfang Juli zeigen, wer bereit ist, für den Dienst  zu zahlen. Auch bedenklich: Quibi ist im App Store bereits aus der Top-50 der meist heruntergeladenen, kostenlosen Apps gefallen. Vermutlich wird Quibi im ersten Jahr auf nicht mehr als 2 Mio. zahlende Abonnenten kommen – angepeilt waren ursprünglich 7,4 Mio. Auf die Häppchen haben nicht allzu viele Appetit, aber woran liegt es?

Alles nur schlechtes Timing?

Von Quibis Starttermin wurde trotz der Corona-Pandemie nicht abgewichen. Das ist verständlich, wenn vorab Werbedeals in Höhe von 150 Mio. US-Dollar abgeschlossen worden sind. Die Köpfe hinter Quibi waren so überzeugt davon, das richtige Konzept für Videostreaming via Smartphone gefunden zu haben, dass keine Option eingeplant wurde, die Inhalte auch über den Fernseher sehen zu können. Das ist ein enormes Problem, wenn aufgrund der Pandemie die Menschen weniger unterwegs sind und die meiste Zeit Zuhause verbringen. Erst nach und nach hat Quibi nun damit angefangen, von Mobile-only abzuweichen und das Schauen seiner Formate auch auf TV-Geräten zu ermöglichen. Mobile-first sollte eben nicht Mobile-only sein.

I attribute everything that has gone wrong to coronavirus. Everything.“, sagt Katzenberg in einem New York Times Interview . Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit, denn bei Quibi selbst liegt einiges im Argen.

Marketing ausbaufähig

Die Formate auf Quibi wirken recht willkürlich zusammengestellt: Hollywood-lastige Serien sämtlicher Genres werden gepaart mit Nachrichtensendung, Tierdokus, Reality-TV-Shows uvm. Genauso willkürlich wurden diese auch beworben. Eine große Menge sehr ähnlicher Pressemitteilungen wurden über die anstehenden Serien rausgeschickt. Formate mit Star-Aufgebot klangen in diesen nicht viel anders als nüchterne Dokumentarfilme. Projekte, die hätten herausragen können, sind durch dieses Vermischen schlichtweg untergegangen. Dabei wäre das wichtig gewesen, denn Quibi kann kein Franchise nachweisen. „Star-Power“ allein reicht heutzutage nicht mehr aus, um die Zuschauer anzulocken.

So gelingt es Quibi nicht, potentielle User davon zu überzeugen, warum sie sich für den kostenpflichtigen Streamingdienst entscheiden sollten. Zwar geht die App mit der Zeit mit und erinnert mit seinem Short-Form-Content an Youtube, Snapchat und Co., nur sind dort die Inhalte für die User kostenlos.

Zielgruppe nicht verstanden

Von Quibis Plan, das Streamen zu revolutionieren, kann so kaum jemand etwas mitbekommen. Das liegt auch an dem großen Fauxpas, dass von den Formaten keine Screenshots gemacht werden können. Spoiler und Piraterie sollen damit unterbunden werden. Das zeigt aber lediglich, dass die Gründer ihre junge Zielgruppe grundlegend missverstehen. Keine Memes und GIFs generieren zu können, keine Bilder und Videos von Quibi teilen zu können, hat enorm benachteiligende Auswirkungen auf den Ruf von Quibi. Denn genau das sind heutzutage die Möglichkeiten, sich in sozialen Netzwerken über Film- und Serien-Formate gegenseitig zu informieren. Durch diese Restriktion lässt sich Quibi also nicht nur die Möglichkeit auf User-Generated-Content  und somit auf kostenlose Werbung entgehen. Auch generelle Konversationen über die Inhalte von Quibi werden damit in der heutigen Zeit extrem ausgebremst.
Mittlerweile können Nutzer die Videos zumindest teilen. Solche Einlenkversuche könnten aber bereits zu spät sein.

Die Inhalte überzeugen nicht

Große Namen von Reese Witherspoon bis Liam Hemsworth sind gut, um Aufmerksamkeit zu erlangen, aber die Formate, in denen sie auftreten, müssen die Zuschauer auch abholen. Bei Nutzern, die Englisch nicht sattelfest beherrschen, klappt das von vornherein nicht: Bisher gibt es weder Synchronisation noch Untertitel auf Deutsch. Auch bei der Testphase, in der sich noch zahlreiche User befinden, liegt ein Problem: Die 90 Tage sind sehr großzügig angelegt, reichen aber aus, um sich auf Quibi alles anzuschauen, was einen so interessiert. Innerhalb des ersten Jahres verspricht Quibi zwar 175 neue Serien, aber dafür müssen sich die Leute auch interessieren – und an denen fehlt es. Die Inhalte bleiben einfach nicht im Gedächtnis und machen keine Lust auf mehr. Momentan genießen es Nutzer eher, sich über die Showformate lustig zu machen: beispielsweise auf Twitter über „50 States of Fright“, wo eine Frau völlig besessen von ihrem goldenen Arm ist.

Vertikaler Modus – Gewollt, aber nur halb gekonnt

Mit der Möglichkeit, die Inhalte auf Quibi auch im vertikalen Modus zu konsumieren, will man insbesondere den Sehgewohnheiten der Generation Z entgegengekommen. Für die ist es selbstverständlich, Videos hochkant aufzunehmen und anzuschauen. Hier verbirgt sich ein weiteres Problem: Im vertikalen Modus sind die Serien auf Quibi nicht sehr wertig. Bei keiner der Formate wirkt die angepriesene Turnstyle-Technologie als etwas anderes als die herausgeschnittene, vertikale Variante eines Videos, das im horizontalen Modus viel besser aussieht. Wurden die zahlreichen Eigenproduktionen von Quibi wirklich mit dem Gedanken gedreht, dass sie fürs Smartphone sind? Sie wirken vielmehr wie die üblichen Formate für den Fernseher. Wäre aber nicht genau das essentiell, damit das Ganze für das vertikale Häppchen-Konzept funktionieren kann?

Außerdem: Bei vielen der Inhalte wird man nicht das Gefühl los, dass sie ganz normale, 120-minütige Filme wären. Sie wurden schlichtweg in diese kurzen Filmschnipsel zerteilt, von denen man sich mehrere Episoden anschaut. Das Ganze trägt nichts zum Seherlebnis bei.

Andere machen es besser

Quibis vertikaler Content-Ansatz ist neuartig, aber nicht komplett neu. Bei iQIYI laufen seit geraumer Zeit zahlreiche chinesische Dramen entsprechend diesen Prinzips. Dem chinesischen Streaming-Giganten gelingt es dabei wesentlich besser, seine Formate an den hektischen Alltag seiner chinesischen Zuschauer anzupassen: Die Shows sind von Grund auf für den mobilen Bildschirm gedacht. „Vertikal“ wird hier als Genre verstanden – und so wird auch gefilmt, nämlich vertikal. Das ist nur konsequent und unterscheidet sich qualitativ sehr von solchen Inhalten, die im Querformat gefilmt und dann auf das vertikale Seitenverhältnis zugeschnitten werden.

Überhaupt ist die visuelle Sprache eine ganz andere. Bei den chinesischen Mobile-first-Dramen werden Splitscreen-Techniken, Swipes und dynamische Schnitte miteinander kombiniert, um dem Stil der kurzen Episoden gerecht zu werden und sie mit mehr Inhalt zu füllen. Der sehr limitierte, visuelle Platz der vertikalen Videos wird dadurch kompensiert, dass er mit doppelt so vielen Informationen gefüllt wird. Es zeigt sich: Quibi nutzt die Potentiale von vertikalen Videos für seine eigenen Produktionen (bisher) nicht. Dadurch trifft der Mobile-first-Ansatz bei Quibi auf weniger Anklang, weil einfach nicht deutlich werden kann, wozu sie das Konzept überhaupt nutzen.

Auch das noch: Der Patentstreit

Und als wäre das alles nicht schon genug, steht auch noch ein Streit um Patentrechte auf der Agenda von Quibi. Das Video-Startup Eko, hinter dem starke Investoren wie Walmart stehen, beschuldigt Quibi, die Turnstyle-Technologie geklaut zu haben, mit der Videos nahtlos vom horizontalen ins vertikale Schauen und zurück gewechselt werden können. Diese Technologie ist eines der Aushängeschilder des Streamingdienstes. Quibi selbst hat bereits ein Verfahren gegen Eko laufen. Man kann zusammenfassen: Es steht Wort gegen Wort, der Outcome ist ungewiss, doch natürlich verstärkt diese Angelegenheit die Misere von Quibi noch zusätzlich.

Düstere Aussichten für Quibi

Quibi hat an mehreren Fronten zu kämpfen. Die Macher von Quibi dachten, mit ihren Serien-Häppchen extra fürs Smartphone das perfekte Konzept entdeckt zu haben. Doch die User sehen das anscheinend anders. Auch die Werbekunden werden nervöser. Einige versuchen bereits, Werbe-Deals neu zu verhandeln. Es wird immer fraglicher, ob Quibi aus der misslichen Lage herauskommen kann, oder ob es als eines der teuersten Startup-Flops in die Geschichte eingehen wird. Katzenberg bleibt optimistisch, dass wir alle nach der Pandemie so viel anstehen und Zeit zu überbrücken haben, wie schon lange nicht mehr. Und dann käme die Zeit von Quibi. Bis dahin könnte es aber schon zu spät sein. Am Ende liegt das Problem des Streamingdienstes darin, dass Quibi einfach Quibi ist. Es muss eine bessere Version von sich selbst werden, damit sein neuartiger Ansatz von Usern verstanden und genutzt werden kann. Es braucht eine einheitliche Vision darüber, was Mobile Storytelling für seine Produktionen sein soll und diese Vision muss über kurzen und „snackable” Content hinausgehen.

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