OpenAIs Atlas schultert das Internet | Projecter Weekly #39 2025
Während Atlas ab jetzt wohl unsere Tabs sortiert, sortiert Amazon seine Belegschaft – und sorgte für weltweite Server-Ausfälle zum Wochenstart, die ihr bestimmt alle am eigenen Leib (oder Laptop) gespürt habt. Und: verstaubt Wikipedia zukünftig genauso wie der Brockhaus im Bücherregal?
Weitere News in dieser Woche:
🤖 Anthropic rüstet Claudes Skills auf,
💘 Menschen mit AI-Liebesbeziehungen (ja, die gibt es) atmen auf,
⏳ und Google beerdigt die Privacy Sandbox.
Entwicklungen & Trends
Atlas Shrugged: OpenAI launcht eigenen Browser
Darüber wurde seit Wochen spekuliert, gestern Abend war es recht überraschend soweit: OpenAIs eigener Browser – Atlas – ging an den Start. Er steht zum Download für macOS zur Verfügung, weitere Betriebssysteme folgen sicherlich bald. Das Timing ist on point, denn Google rollt seinen AI Mode in der Suche seit letzter Woche recht flächendeckend aus.
Konter OpenAI: Atlas soll bei laufender Benutzung wie das eigene erweiterte Gedächtnis fungieren, aus dem Browser- und Suchverlauf lernen und zum Beispiel ohne externe Tools oder Anweisungen alle gelesenen Artikel der letzten Woche zusammenfassen oder Fragen beantworten. Das klingt für Menschen mit n>10 offenen Browser-Tabs (wie mich) nach einer durchaus interessanten Option.
Natürlich sollte auch der Agentenmodus im eigenen Browser leichter fallen und die KI kann dann tatsächlich fehlerfrei Aufgaben wie das Ausfüllen von Formularen übernehmen. Viel mehr Deep Dive können wir euch kurz vor Redaktionsschluss noch nicht anbieten, aber dieser Newsletter wurde schon mit Unterstützung von Atlas erstellt. Weitere Tests folgen! Mehr Details und erste Analysen gibt es bei Casey Newton.
Ein Fun Fact zum Schluss: Atlas basiert genauso wie Perplexitys Browser Comet und Dia von Browser Company auf Chromium, dem Open Source Web Browser von Google. Das hatte sich Google vermutlich alles anders vorgestellt.
Amazon trembled: Weltweite Server-Ausfälle zum Wochenstart
Wenn die Cloud wackelt, wackelt das Internet: Ein Ausfall bei Amazon Web Services (AWS) hat am Montagvormittag weltweit für Chaos gesorgt. Tausende Websites und Apps waren zeitweise offline – darunter bekannte Namen wie Snapchat, Fortnite oder auch die Website der britischen Regierung. Der Fehler lag in einem großen Rechenzentrum in Nord-Virginia, das für viele Online-Dienste zentral ist.
AWS ist mit rund 30 % Marktanteil der wichtigste Cloud-Anbieter der Welt – wenn dort etwas schiefläuft, spüren das Millionen Menschen und Unternehmen. Während in den USA der Ausfall zunächst nachts stattfand, erwischte es in Europa alle pünktlich zum Wochenstart. Arbeitsbezogen waren zum Beispiel bekannte Dienste wie Slack, Monday, Personio, Trello betroffen, aber auch Microsoft 365, Adobe Creative Cloud, Zapier und Canva. Die Liste ließe sich erschreckend lange fortsetzen, neben beliebten Apps wie Duolingo und Strava waren auch zahlreiche Streaming-Anbieter (Amazon Prime obviously, aber auch Hulu und HBO Max) und Gaming-Plattformen wie Roblox, PlayStation und Pokémon Go betroffen. Ein guter Tag, um ein Buch zu lesen oder den Posteingang aufzuräumen.
Der Vorfall erinnert an den CrowdStrike-Ausfall im Sommer 2024, der damals ganze Unternehmenssysteme lahmlegte. Der aktuelle Zwischenfall zeigt einmal mehr, wie abhängig die digitale Welt von wenigen großen Infrastrukturbetreibern geworden ist.
Amazon disturbs: 600.000 Mitarbeitende sollen durch Roboter ersetzt werden
Laut internen Dokumente, die der New York Times vorliegen, will Amazon bis 2033 rund 75 % seiner Logistik automatisieren – und damit auf den Einsatz von bis zu 600.000 neuen Mitarbeiter*innen verzichten. Schon bis 2027 sollen Roboter rund 160.000 Stellen ersetzen und die Kosten pro Artikel um etwa 30 Cent senken. Zum Einsatz kommen Systeme wie „Sequoia“, in dem Roboterarme namens Sparrow und Cardinal Pakete sortieren, während Transportroboter Proteus die Waren durch die Hallen fährt.
Offiziell betont Amazon, man plane weiterhin Neueinstellungen, etwa 250.000 Saisonkräfte. Kritiker warnen jedoch vor den gesellschaftlichen Folgen: Ökonom Daron Acemoglu (MIT) spricht von einem Wandel Amazons „vom Jobmotor zum Jobvernichter“, die Amazon Labor Union wirft dem Konzern vor, „Maschinen zu bauen, die uns ersetzen“.
Anthropic learned: Claude Skills automatisiert Workflows
Mit dem neuen von Anthropic angekündigten Skill-Modus für Claude lassen sich Agenten aus Anweisungen, Skripten und Ressourcen für konkrete Workflows aufrüsten – z. B. zum Excel-Reports erstellen, Markenvorgaben einhalten oder PDFs ausfüllen. Claude lädt passende Skills nur bei Bedarf („progressive disclosure“), kann Code sicher ausführen und Skills über Apps, API und Claude Code wiederverwenden; Admin-Kontrollen für Teams/Enterprise sind vorgesehen.
Startpunkte und Beispiele stellt Anthropic inklusive Doku und GitHub bereit. Die Demo-Videos in der Ankündigung sind vielversprechend und deuten darauf hin, dass alle großen LLMs derzeit Druck machen, mehr Automatisierung und Integration zu ermöglichen, ohne die jeweilige Plattform zu verlassen.
OpenAI turned: ChatGPT wird sexy
Und eine ChatGPT-News haben wir noch: Sam Altman hat angekündigt, dass „Erotik für verifizierte Erwachsene“ ab Dezember in ChatGPT verfügbar sein soll – und damit eine Welle an Reaktionen ausgelöst. Medien weltweit titelten „SexGPT“, in Deutschland erschienen über 60 Artikel binnen zwei Tagen. Kritiker*innen sehen darin weniger Innovation als Ablenkung: Während OpenAI Milliardenverluste schreibt (-8 Mrd. US-Dollar im ersten Halbjahr) und nur rund 5 % der 800 Mio. Nutzer*innen zahlende Abonnent*innen sind, investiert das Unternehmen weiter gigantische Summen in Infrastruktur.
Nach Video-Tool Sora, Shopping-Features und App-Store-Plänen wirkt die Erotik-Ankündigung wie der nächste Versuch, Aufmerksamkeit – und vielleicht Umsatz – zu generieren. Besonders pikant an der Sache: Noch im August war Altman in Abgrenzung zu Elon Musks Grok stolz darauf, keinen sexy Modus für ChatGPT eingebaut zu haben. Der Social Media Watch Blog hat sich das ganze in einer lesenswerten Analyse genauer angeschaut.
Affiliate Marketing
Temu erweitert seine öffentlichen Affiliate-Netzwerke in Europa
„Der E-Commerce-Gigant ist offiziell bei Awin Global gestartet und das dürfte für ordentlich Bewegung im Kanal sorgen. Das Programm wird direkt in neun europäischen Märkten, inklusive Deutschland, ausgerollt. Mit der bekannten Mischung aus massiver Reichweite, aggressiven Preisen und einem riesigen Sortiment wird Temu sicher schnell viele Publisher anziehen – das Partnerprogramm wirbt auch aktiv um alle Publisher-Modelle, von Cashback bis Content.
Senior Specialist Affiliate Marketing
Für andere Advertiser bedeutet das vor allem eines: Der Wettbewerb heizt sich weiter auf. Vielleicht ist das aber auch eine Chance für euch, wenn ihr mit eurem Programm auf hochwertigen Kundenservice und Qualität setzt, um euch gerade deswegen jetzt klarer zu positionieren. Ein ernstzunehmender Konkurrent ist Temu aber in jedem Fall.“
Wer einen Einblick bekommen möchte, welche Stolpersteine Anbieter auf Temu erwartet, sollte in einen aktuellen Blogbeitrag von Revoic reinlesen. Besonders die Preisgestaltung steht hier im Fokus – kein Wunder bei einer Plattform, die für ihre Mikropreise bekannt ist. Dranbleiben bis zum Ende lohnt sich für den Vergleich mit Ebay und Amazon.
Social Media
„We are social“: Weltbevölkerung verbringt knapp 14 Stunden pro Woche auf Social Media
Der neue „We are social“ Digital 2026 Global Overview Report von Meltwater ist da – und beinhaltet einige spannende Zahlen. Die Welt wird immer digitaler, immer mehr Menschen nutzen Social Media. Circa 68,7 % der Weltbevölkerung ist aktuell auf sozialen Netzwerken aktiv. Der Hauptgrund ist allen voran der Kontakt zu Freund*innen und Familie, gefolgt von Freizeitgestaltung und dem Konsum von News.
Insgesamt verbringen Internetnutzer*innen (ab 16 Jahren) circa 14 Stunden pro Woche auf sozialen Netzwerken. Dabei folgen sie vor allem Freund*innen und Familienmitgliedern (48,2 %), TV-Shows oder TV-Kanälen (28 %), Schauspieler*innen und Comedians (27,8 % ), Unterhaltungs- und Meme-Accounts (26,8 %) sowie Bands und Musiker*innen (26,3%). Besonders spannend: Deutsche nutzen nur ca. 9,5 Stunden pro Woche die sozialen Medien. Vor allem jüngere Nutzer*innen sind auf Social Media aktiv; von denen es in Deutschland (im Vergleich zu anderen Ländern) weniger gibt.
Die meiste Zeit verbrachten die Nutzer*innen weltweit auf diesen fünf Apps:
- TikTok
- YouTube
Noch mehr spannende Einblicke gibt es auf „kompakten“ 700 Seiten im Report.
Content Piece der Woche
Bleiben wir noch kurz beim Report von Meltwater: Der Online-Marketing-Experte Felix Beilharz hat die wichtigsten Zahlen daraus kurz und knapp in einem Social Media User Cheat Sheet mit Blick auf 2026 zusammengefasst. Den Original-Post dazu findet ihr auf LinkedIn.
Wikipedia spürt den Einfluss von TikTok und KI
Die Seitenaufrufe für Wikipedia sind laut Wikimedia Foundation im letzten Jahr um rund 8 % gesunken: Grund dafür sind unter anderem KI-Suchergebnisse, die Antworten direkt liefern, statt auf Wikipedia zu verlinken – und junge Nutzer*innen, die sich lieber per Social Media informieren. Die Organisation warnt, dass weniger Traffic auch weniger neue Autor*innen und Spenden bedeuten könnte. Verstaubt Wikipedia zukünftig genauso wie der Brockhaus im Regal?
Web Analytics
Lang leben Third-Party Cookies in Chrome: Google beerdigt die Privacy Sandbox
Was 2019 als Alternative zu Third-Party Cookies begann und jahrelang vor sich hin dümpelte, ist nun Geschichte: Googles Privacy Sandbox. Letzten Freitag verkündete der Tech-Riese die Einstellung von zehn Technologien des Projekts, darunter das vieldiskutierte Herzstück „Topics“, das die interessenbasierte Ausspielung von Werbung ermöglichen sollte.
Als Grund wird die mangelnde Akzeptanz in der Branche genannt, neben dem jahrelangen Druck von Wettbewerbsbehörden – allen voran der britischen CMA – sowie von Publishern und Werbetreibenden. Deren Befürchtung: Google stärke unter dem Deckmantel des Datenschutzes nur weiter die eigene Marktmacht. Bewegungen wie „Movement for an Open Web“ feiern das vorübergehende Ende der Privacy Sandbox als „Sieg für das offene Web“, da Publisher und Advertiser nun ihre Kontrolle behalten. Vorerst bleibt im Ad-Tech-Ökosystem also alles beim Alten.
Googles Schritt ist keine echte Überraschung, sondern vielmehr die logische Konsequenz einer Entwicklung, die sich bereits im April 2025 abzeichnete. Damals kündigte Google vage an, Third-Party Cookies beizubehalten und den angekündigten Phase-Out nicht durchzuführen. Die Beerdigung der meisten Privacy-Sandbox-Technologien ist nun die finale Bestätigung. Dabei sollte nicht vergessen werden, dass Third-Party Cookies in den meisten anderen Browsern bereits der Vergangenheit angehören und ein Schritt seitens Google in Richtung mehr Datenschutz eigentlich die richtige Richtung war.
„Das crazy“: Meme der Woche
An unserem Lob für die YouTube-Serie „Boah Bahn!“ der DB habt ihr vielleicht schon gemerkt, dass wir die Arbeit des Social-Media-Teams super finden. Diese Woche hat Langenscheidt das Jugendwort des Jahres 2025 bekanntgegeben und auch der dazugehörige, sympathisch selbstironische Bahn-Post hat uns wieder abgeholt. 👌