Laut für Gutes: So verändern Purpose-driven Companies unseren Konsum

Was ist Purpose? 
Purpose ist, eine Vision zu haben und mit aller Kraft daran zu arbeiten. Mehr zu sehen als das eigene Unternehmen. Laut zu sein für das Gute. Oder: Purpose ist, was ein Großteil der deutschen Wirtschaft nicht hat bzw. mit diffusen Schlagworten wie “Tradition” zu ersetzen versucht.

Die Mehrheit  unserer Industrie, von Automobilmarken über den Einzelhandel bis zur Mode, schwelgt eher in Erinnerungen als sich auf die Herausforderungen im Jetzt zu konzentrieren. Selbst Adidas, die in Übersee mit starken feministischen Kampagnen punkten, zelebrieren hierzulande lieber den 30 Jahre alten Mauerfall mit einer “Wende”-Jacke für 160€. 

Doch es gibt Hoffnung. Eine Reihe Start-Ups und Kleinunternehmen sagen auch in der Bundesrepublik lautstark dem Status Quo den Kampf an  und verändern dabei die Art, wie wir konsumieren, unser Geld anlegen oder Wirtschaft als Ganzes organisieren. Die folgenden Marken solltet ihr auf dem Schirm haben: 

einhorn – unfuck the economy mit nachhaltigen Kondomen

Ja, ihr habt richtig gelesen. Die 16 BerlinerInnen machen bundesweit Schlagzeilen mit Produkten, die lange als verpönt galten: Kondome und Menstruationsprodukte. einhorn macht sie cool mit dem Versprechen, über die ganze Produktionskette hinweg bedingungslos fair zu agieren, also “nicht aufzuhören, eh Menstruieren und Sex haben genauso nachhaltig ist, wie zu Fuß nach Barcelona in den Urlaub zu laufen.” – Das wäre ein Game Changer, denn nachhaltige Kautschuk-Lieferketten sind gerade erst am Entstehen und Kondome sind wohl das Ressourcen-aufwändigste Produkt, das man damit  herstellen kann. Faire Matratzen oder Autoreifen wären so auf einmal möglich. 

Bekannt wurde das Start-Up allerdings nicht primär mit seinen Produkten, sondern mit seiner Organisationskultur: Bei einhorn gibt es keine Chefs, Entscheidungen werden im Plenum getroffen, alle Mitarbeitenden entscheiden selbst darüber, wie viel Urlaub sie nehmen und wann sie zur Arbeit kommen. 

Das mit Abstand bekannteste einhorn ist der Co-Gründer und Ex-Chef Waldemar Zeiler. Der hat sich 2019 gewissermaßen selbst enteignet und sein Unternehmen ins “Verantwortungseigentum” überführt: Es darf nicht mehr verkauft und Gewinne müssen reinvestiert werden. 

Jüngst machte Zeiler mit seinem Buch “Unfuck the Economy” von sich reden, in dem er ein völlig neues Wirtschaften fordert. Wäre Corona nicht gewesen, hätte er als Mitinitiator von “Unfuck the World” letztes Jahr 60.000 Menschen ins Olympiastadion zu Deutschlands größtem Demokratiefestival gebracht. Die 1,6 Millionen Euro an Crowdfunding-Kapital hatten die VeranstalterInnen übrigens spielend eingesammelt. 

Lemonaid – für fairen Anbau, gegen Zucker-Vorschriften

Zugegeben, Lemonaid als Start-Up zu bezeichnen, ist ein klares Understatement. Der Hamburger Getränkehersteller zählt 100 Mitarbeitende und setzt 18 Millionen Euro im Jahr um. Für jede verkaufte Limo gehen 5 Cent und für jeden verkauften Tee 10 Cent in die eigene Stiftung, die sich für eine Verbesserung der Lebensumstände in den Anbauländern einsetzt. 3 Millionen Euro konnten sie schon in Entwicklungsprojekte im globalen Süden stecken, gemäß dem Firmenmotto “Trinken hilft”.

Im letzten Jahr machten die Hamburger allerdings mit einem anderen Skandal Schlagzeilen: Weil ihre Maracuja-Limo zu wenig Zucker hatte, durfte sie offiziell nicht mehr als “Limonade” bezeichnet werden. Dieses absurde Rüge nahmen sie zum Anlass, um sich als David gegen den politischen Goliath, das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, aufzubäumen: Mit einer lebensgroßen Zucker-Büste der amtierenden Ministerin Julia Klöckner machten sie darauf aufmerksam, welche Gesundheitsschäden für VerbraucherInnen durch solche Rechtsprechungen entstehen können. Scheinbar mit Erfolg: Das Ministerium hat angekündigt, die “Leitsätze für Erfrischungsgetränke” zu überdenken. Die ganze Debatte haben wir für euch in unserem Wins&Fails-Podcast rekapituliert. 

Tomorrow – Banking für eine grüne Welt

Einer der Lemonaid-Gründer, Jakob Berndt, verabschiedete sich 2017 vom Limo-Business und entschied sich mit 2 Co-Gründern, die Welt der Finanzen zu revolutionieren. Das Ergebnis ist Tomorrow: Deutschlands erste nachhaltige Smartphone-Banking-App. 

Die Welt der Finanzen ist gerade ohnehin im Umbruch, denn sogenannte Fin-Techs, also digitale Finanzdienstleister, machen den etablierten Banken das Geschäft mit schlanker Infrastruktur, Mobile-First-Attitüde und zeitgemäßer Ansprache streitig. 

Doch Tomorrow geht noch einen Schritt weiter mit dem Ziel, ausschließlich nachhaltige Projekte mit dem Geld seiner AnlegerInnen zu fördern, so zum Beispiel sozialen Wohnungsbau oder einen Environmental Bond. In der Premium-Variante gleicht das Konto direkt noch den gesamten ökologischen Fußabdruck aus. 

Tomorrow scheint damit die wachsende Welle der ethischen KonsumentInnen zu reiten: Nachhaltige Geldanlagen werden zum Megatrend in Deutschland. Allein von 2014 bis 2019 hat sich das Vermögen in nachhaltigen Fonds verdoppelt.

the nu company – Ey geht’s noch, Frau Klöckner?

Wer Mitte Oktober 2020 in der 43. Ausgabe vom Spiegel blätterte, stieß auf einen offenen Brief mit dem Titel “Hallo Großkonzerne, hallo Frau Klöckner, hallo geht’s noch?” – Dieser Rundumschlag über alles, was in der Lebensmittelindustrie so schief läuft, kam aus einem kleinen Büro in der Leipziger Karl-Liebknecht-Straße. Dort sitzt die nu company – ein veganes Food-Startup, dessen Flaggschiff-Riegel nucao mit echten Nährstoffen, kompostierbarer Verpackung und einem ambitionierten Klima-Ziel lockt. 

Bis 2030 möchte das schnell wachsende Start-Up eine Milliarde Bäume pflanzen – aktuell sind es schon mehr als 3 Millionen. Dieses Vorhaben, verpackt in knallige Farben und prominente Werbeplatzierungen in deutschen Metropolen, klingt wichtig, aber bietet auch eine Zielscheibe für Kritik. Gefühlt pflanzt ja heute jeder Bäume, oder? 

Statt sich vor diesen Vorwürfen wegzuducken, reagiert das Start-Up auf dem eigenen Instagram-Kanal auch klar auf negatives Feedback und erarbeitet sich so immer mehr Glaubwürdigkeit – Post für Post. 
Auch InvestorInnen glauben an das Start-Up. Erst Ende letzten Jahres sammelte the nu company bei einer Finanzierungsrunde 3,7 Millionen Euro ein. Die Reise geht also gerade erst los.

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