Was wurde eigentlich aus…studiVZ?

Es begab sich zu einer Zeit, als mit „Schni Schna Schnappi“ der Bildungsauftrag deutscher Kinderlieder auf eine harte Probe gestellt wurde, zu einer Zeit, als selbstgeklöppelte Freundschaftsbändchen durch gelbe Charity-Gummiringe ersetzt wurden, zu einer Zeit als aus dem Motorola RAZR bei jeder Klapphandyöffnung der Crazy Frog ertönte während man mit seinen Freunden über das „heimliche“ Paris Hilton Video tuschelte. Nur eine Sache bewegte die Jugend im Jahre 2005 noch mehr als beknackte Frösche und freizügige Millionärserbinnen: Das studiVZ!

12 Jahre später nun nimmt das deutsche Startup-Märchen ein trauriges Ende. Die aktuelle Betreibergesellschaft – Poolworks Germany – ist zahlungsunfähig. Am Donnerstag (08. September 2017) wurde Insolvenz angemeldet. Wie es mit den VZ-Netzwerken weitergeht, ist vollkommen ungewiss. Wie konnte es mit dem einstigen Vorzeige-Netzwerk soweit kommen?

Am 11.11.2005, fast zwei Jahre nachdem sich Mark Zuckerberg anschickte, mit einem sozialen Netzwerk namens Facebook der jüngste Selfmade-Milliardär des Planeten zu werden, brachten Ehssan Dariani und Dennis Bemmann hierzulande eine deutschsprachige Variation des amerikanischen Erfolgsmodells an den Start. Das StudiVZ-Virus war höchstgradig ansteckend und verbreitete sich schneller als Kopfläuse im Kindergarten. 2009 zählte das StudiVZ bereits 6,2 Millionen Nutzer und gehörte damit zur Crème de la Crème der deutschen Onlinemedien. SchülerVZ und MeinVZ wurden gegründet, um auch die nichtstudentischen Zielgruppen für den VZ-Kosmos zu begeistern. Unglaubliche 16 Mio. Mitglieder hatte das soziale Netzwerk Made in Germany mittlerweile auf dem Tacho.

studiVZ-Oberfläche 2016
studiVZ-Oberfläche 2016 – wie ein alter guter Freund aus einer längst vergangenen Zeit.

Damit waren die fetten Jahre allerdings auch schon gezählt. Mark Zuckerberg hatte zur weltweiten Expansion geblasen und so toppten 2011 die Facebook-Mitgliederzahlen hierzulande zum ersten Mal die des Studentenverzeichnisses. Die durchschnittliche Besuchsdauer der VZs fiel schneller als Felix Baumgartner und landete anders als der extrem gesponserte Extremsportler unsanft auf dem Boden der Bedeutungslosigkeit. Das SchülerVZ wurde 2013 geschlossen, bei StudiVZ und MeinVZ kann sich weiterhin angemeldet werden, dort tatsächlich auf aktive Nutzer zu treffen ist jedoch unwahrscheinlich. Viele der Profile wurden seit Jahren nicht aktualisiert. Wahrscheinlich ist StudiVZ die größte Sammlung digitaler Karteileichen – ein Social Media Friedhof. Die einst 300-köpfige Belegschaft wurde auf 15 wackere VZler eingestampft.

Der Holtzbrinck-Verlag, früherer Besitzer von StudiVZ, verklagte im letzten Jahr seine eigene ehemalige Tochterfirma. Drei Millionen Euro forderte der Konzern von der StudiVZ-Betreibergesellschaft Poolworks Germany – und bekam vor Gericht Recht. Bedeutet dies nun das endgültige Ende für die VZ-Netzwerke?

VZ-Netwerke auf dem absteigenden Ast
Rasanter Abstieg der VZ-Netzwerke von 2010 bis 2012

Spricht man mit Angehörigen der gleichen Alterskohorte, macht ein gewisser Anflug von Wehmut die Runde. Was waren das für Zeiten, als wir uns nichts sehnlicher wünschten, als mal wieder anständig „gegruschelt“ zu werden, als wir im VZ unsere Lehrveranstaltungen hinterlegen und uns auf dem kurzen Dienstweg gegenseitig Mitschriften und Prüfungsfragen zustecken konnten. Nie wieder war es so leicht, über die Suchfunktion verschollene Freunde, Kommilitonen und Diskobekanntschaften aufzustöbern. Wie viele tausende Fotoalben haben wir durchgeklickt und Freunde vertaggt, zu einer Zeit als Partyfotos noch unbekümmert und leichtsinnig online gestellt wurden. Wer jetzt noch nicht sentimental wird, soll sich bitte an das Herzstück des Netzwerks, die unzähligen Gruppen, erinnern – manchmal nützlich, sehr oft über die Grenzen des guten Geschmacks albern – fast immer unterhaltsam! Was in den Gruppen passierte, geriet schnell zur Nebensache, wie einen Orden trug man seine Gruppenliste vor sich her.

StudiVZ-Gruppen
Unser Autor hielt sich und seine Gruppen immer für besonders lustig.

Wer weiß, wenn es stimmt, dass alles Alte wiederkommt, dann kann es gut sein, dass wir uns irgendwie irgendwo irgendwann nochmal gruscheln, uns gegenseitig unsere Gruppen zeigen und gemeinsam Facebook verlachen. Bis dahin – Farewell studiVZ.

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Was wurde eigentlich aus…ICQ?

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Was wurde eigentlich aus…studiVZ? - E-COMMERCE-NEWS.NET
vor 7 Jahren

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Theo
Theo
vor 7 Jahren

Ehrlich gesagt hab ich mir dir Frage in der Überschrift dieses Artikels auch schon einige Male gestellt. Danke für die ausführliche Aufklärung! Und abgefahren, dass es das VZ tatsächlich noch gibt!

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Was wurde eigentlich aus … ICQ? - Projecter GmbH
vor 6 Jahren

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