GPT-5: Mehr Hirn, weniger Herz? | Projecter Weekly #30 2025
GPT-5 ist da und lässt KI-User aufgrund des Charmes älterer Modelle direkt nostalgisch werden. Perplexity versucht, Google in Bedrängnis zu bringen, und der AI Mode ist jetzt auch in Großbritannien verfügbar. Damit wird auch eine Veröffentlichung in der EU immer realistischer.
Diese Woche erfahrt ihr außerdem …
☀️ von sonnigen Neuerungen auf TikTok (Pro),
🛍️ weshalb sich kleinere Onlineshops aktuell freuen können,
👵🏼 und warum ihr euch kurz alt fühlen dürft.
Entwicklungen & Trends
GPT-5: Mehr Hirn, weniger Herz?
Letzten Donnerstag war es (nach gefühlt langer Wartezeit, aber was ist schon noch lang in the age of AI) so weit und OpenAI hat sein neues Modell GPT-5 ins Rennen geschickt – mit dem Versprechen, schlauer zu sein, weniger zu halluzinieren und spürbar besser in Bereichen wie Programmierung oder Gesundheitsthemen zu performen.
Klingt nach einem klaren Upgrade, aber der Alltagstest zeigte schnell: Die Performance schwankt, viele Nutzer*innen vermissen den „Charme“ der alten Versionen, und on top gab es strikte Limits. Beim „GPT-5 Thinking“-Modus waren gerade mal 200 Nachrichten pro Woche drin. Das sorgte für ordentlich Frust und Social-Media-Beschwerden.
OpenAI reagierte zügig, lockerte die Limits und holte ältere Modelle wie GPT-4o zurück ins Angebot. Unterm Strich fühlt sich GPT-5 aktuell eher wie ein ambitioniertes, aber noch nicht ganz rundes Update an – mit smarteren Antworten, aber auch Ecken und Kanten, die dem Hype einen Dämpfer verpassen.
Dabei steckt die echte Revolution vermutlich weniger in den Features, sondern im neuen Router-System, das je nach Aufgabe automatisch das passende Untermodell auswählt – von günstigen Mini- und Nano-Versionen für einfache Prompts bis hin zu rechenintensiven Reasoning-Modellen für komplexe Fragen.
Das steigert Effizienz, senkt Kosten und macht die Modellwahl für Nutzer*innen einfacher, die bislang eher damit überfordert waren, das jeweils passende Modell für ihre Anfrage auszuwählen. Gleichzeitig kann OpenAI so gezielt steuern, welche spezialisierten Modelle verstärkt eingesetzt werden.
Vom Besserwisser zum Lernbuddy
In other News: OpenAI verpasst ChatGPT mit dem neuen „Study Mode“ ein Bildungs-Upgrade: Statt direkt Lösungen auszuspucken, führt das Tool Nutzer*innen jetzt Schritt für Schritt durch Probleme, stellt Rückfragen und erklärt Hintergründe. Ziel ist es, echtes Verständnis zu fördern – ein Ansatz, der sich klar von der bisherigen „Copy-Paste-Antwortmaschine“ absetzt.
Bislang war das über Custom GPTs auch schon umsetzbar, aber mit mehr Eigeninitiative verbunden, jetzt wechselt ein einfacher Klick den Modus. Kritiker*innen sehen darin vor allem eine strategische Positionierung im lukrativen EdTech-Markt, in dem Google mit Gemini bereits aktiv ist. Ob Lehrkräfte und Schüler*innen den Modus im Alltag annehmen, dürfte entscheiden, ob er mehr als nur ein PR-freundliches Feature bleibt.
AI Mode in Großbritannien
Nach den USA und Indien erhält nun Großbritannien als drittes Land Zugang zu Googles AI Mode. Dabei handelt es sich um ein ChatGPT-artiges Interface, das aber direkt in der Suchmaschine integriert ist, sodass kein Wechsel zu einer Webseite oder App notwendig ist.
Mit dem Launch in Großbritannien rückt auch der Zugang in der EU wieder in realistischere Gefilde, da Großbritannien ähnlich wie die EU einen sehr genauen Blick darauf hat, was Google mit Nutzerdaten anstellt. So stellte das britische Kartellamt im Juni unter anderem noch in Frage, ob AI-generierte Suchergebnisse Fairness bei Suchergebnisrankings gewährleisten können.
Google nannte zuletzt die strikten Vorgaben der EU als Innovationshindernis und Grund, warum Neuerungen erst deutlich später im Wirtschaftsraum verfügbar gemacht werden. Auch wenn wir noch etwas ausharren müssen, bis Googles AI Mode in der EU verfügbar wird: Search Engine Land hat ein internes Dokument mit Best Practices veröffentlicht, die ihr umsetzen könnt, um zu garantieren, dass euer Unternehmen bereit für den neuen Suchbereich ist.
Perplexity will Google Chrome kaufen
Google steht ja schon länger wegen seiner Marktmacht unter Druck von Regulierungsbehörden, insbesondere im Rahmen eines Kartellverfahrens des US-Justizministeriums: Berichten zufolge könnte der Suchmaschinenriese sogar zum Verkauf seines Webbrowsers Chrome gezwungen werden. Das KI-Start-up Perplexity hat jetzt 34,5 Milliarden Dollar für die Übernahme geboten. Schon bei seiner Gründung hatte das Unternehmen das ambitionierte Ziel, Googles Monopolstellung zu Fall zu bringen.
Google hat sich zu dem Angebot bisher noch nicht öffentlich geäußert. Zudem ist nicht klar, wie Perplexity den Deal bezahlen würde: Investor*innen sind zuletzt von einem Unternehmenswert von lediglich 18 Millarden Dollar ausgegangen. Es soll jedoch bereits Zusagen von externen Investor*innen geben, die Transaktion zu finanzieren. Für den Fall eines erzwungenen Verkaufs gibt es außerdem noch weitere Anwärter, darunter DuckDuckGo, OpenAI und Yahoo. Es bleibt spannend.
„AI is a Money Trap“
Das argumentiert zumindest Ed Zitron in seinem aktuellen Newsletter. Er kritisiert die massive Überbewertung und Intransparenz der KI-Branche, insbesondere bei OpenAI und Anthropic. Trotz Milliardeninvestitionen fehlten belastbare Geschäftsmodelle, klare Exit-Strategien und nachhaltige Profitabilität – vieles erinnere an eine Blase. Zitron warnt, dass die Branche mehr Geld verbrenne als echten Nutzen schaffe.
Sicherlich eine sehr zugespitzte Einschätzung, aber mit durchaus stichhaltigen Argumenten. Die Gewinner des KI-Rennens stehen noch lange nicht fest und vielleicht ist tatsächlich eine zentrale Frage, wem zuerst das Geld ausgeht. Lohnenswerte (wenn auch sehr lange) Lektüre für alle, die sich für die Hintergründe der KI-Branche interessieren.
Ihr dürft euch kurz alt fühlen …
… wenn ihr wisst, was wir meinen: Nach rund 35 Jahren beendet AOL seinen Service für die Einwahl in das Internet per Telefon. Damals musste man sich noch entscheiden: Will ich per – heute auch sehr viel seltener gewordenem – Festnetz erreichbar sein oder „im Internet surfen“? 😎
Dennoch sollen sich 2023 immerhin noch etwas mehr als 163.000 Nutzer*innen in den USA mit einem Telefon-Modem in das Internet eingewählt haben. In Deutschland wurde der letzte Internet-by-Call-Tarif bereits im Januar 2023 von Vodafone abgeschaltet.
Suchmaschinen
Amazon zieht sich von Googles Shopping Ads zurück
„In den sozialen Netzwerken schwirren einige Theorien umher, was zu diesem Schritt geführt haben könnte: Amazon taucht in den USA, Großbritannien und Deutschland in den Ergebnissen in der Google-Suche nicht mehr auf. Zum einen ist es möglich, dass der E-Commerce-Riese testet, ob sie ihren Umsatz auch ohne Google Shopping erreichen, da viele Produktsuchen direkt auf Amazon beginnen.
Eine andere Theorie ist, dass Amazon von der Standard-Pmax-Variante zu Performance Max für Marktplätze wechselt. All das sind aber nur Theorien, denn von Amazon gab es bisher noch kein Statement.
Für weniger werbebudgetstarke Unternehmen ergeben sich durch Amazons Rückzug neue Chancen, insbesondere auf Märkten, in denen der Wettbewerb noch überschaubar ist. Mit demselben Budgeteinsatz können jetzt günstigere Klickpreise erzielt und mehr Klicks und Impressionen generiert werden.“
ChatGPT-Chats: Aus Google gelöscht, aber im Internet-Archiv für jeden einsehbar
Obwohl OpenAI kürzlich fast 50.000 öffentlich geteilte ChatGPT-Konversationen aus dem Google-Index entfernt hat, ist das Datenleck nicht geschlossen. Eine neue Recherche von Digital Digging zeigt, dass über 110.000 dieser Chats weiterhin über die Wayback Machine von Archive.org vollständig zugänglich sind.
Nutzer*innen, die die Teilen-Funktion verwenden, erstellen damit oft unwissentlich eine dauerhafte, öffentliche Aufzeichnung ihrer Gespräche. Das Kernproblem: OpenAI hat die Konversationen nur aus Google entfernt, aber keine Löschung bei Archive.org beantragt. Somit bleiben die Inhalte erhalten.
Womit wir beim Thema „Google Zero“ wären
Mit dem Durchbruch beim Thema KI, vor allem beim Google-Konkurrenten OpenAI, wurde schnell das Ende von Google (und damit einhergehend auch zu schnell von Marketingkanälen wie SEO) prognostiziert. Aber: Google geht es gut, nicht zuletzt durch hauseigene Entwicklungen, wie den AI Overviews und dem AI Mode.
Das Unternehmen berichtet selbst, dass die Einführung von KI-Funktionen zu mehr Suchanfragen und qualitativ hochwertigeren Klicks geführt hat. Das gesamte organische Klickvolumen ist im Jahresvergleich stabil geblieben, während die Klickqualität sogar gestiegen ist, da Nutzer*innen häufiger auf Inhalte klicken, die sie vertiefen möchten – und die vorgelegten Quartalszahlen bezeugen das.
Social Media
TikTok startet „TikTok Pro“ und das „Sunshine-Programm“ ☀️
Im Bestreben, sich im Bereich der sozialen Verantwortung zu platzieren, hat TikTok mit TikTok Pro eine neue App gelauncht und begleitend das „Sunshine-Programm“ eingeführt. Damit will TikTok eine Plattform schaffen, die es gemeinnützigen Organisationen ermöglicht, Aufmerksamkeit auf ihre Projekte zu richten und gleichzeitig Spenden zu sammeln.
Wie sich TikTok Pro vom altbekannten TikTok unterscheidet? TikTok Pro ist eine ganz neue App, die in Deutschland, Portugal und Spanien gestartet wurde. Sie zielt darauf ab, den Nutzer*innen eine kuratierte Auswahl an unterhaltsamen Inhalten zu bieten, dient aber gleichzeitig auch als Zugang für das Sunshine-Programm, wodurch die User-Community direkt in die soziale Mission der Plattform eingebunden wird.
Das Sunshine-Programm ist ein Pilotprojekt, das es den Usern von TikTok Pro ermöglicht, eine virtuelle Währung, „Sunshine“, durch verschiedene Interaktionen, wie die Empfehlung der App oder das Engagement mit Inhalten, zu sammeln. Anschließend können die User ihre Sammlung einer gemeinnützigen Organisation ihrer Wahl zuweisen und TikTok verpflichtet sich wiederum, eine entsprechende Spende an die Organisation zu leisten.
Zu den Partnern des Programms gehören bekannte Organisationen wie Aktion Deutschland Hilft, der NABU, Ärzte ohne Grenzen und WaterAid. Wir sind gespannt auf den sozialen Impact der neuen App.
Deutsche Politik im Kurzvideo-Format: Der Bundestag will TikTok erobert
Obwohl TikTok immer wieder wegen den Themen Datenschutz und mangelndem Jugendschutz in der Kritik steht, hat der Deutsche Bundestag dort jetzt einen eigenen Account gestartet. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner erkannte gegenüber der Nachrichtenagentur dpa an, dass die App die Plattform ist, auf der sie junge Menschen am besten erreichen können, um sie über parlamentarische Arbeit zu informieren. Und gerade weil weiterhin Bedenken hinsichtlich extremer Meinungen und kursierender Fehlinformationen auf TikTok bestehen, sei es umso wichtiger, eine verlässliche und seriöse Anlaufstelle zu bieten.
Der Bundestag ist schon länger auf den Plattformen Instagram, YouTube, WhatsApp, X, Mastodon, Bluesky und LinkedIn präsent, hat die politische Bühne auf TikTok aber lange anderen Playern überlassen. Da ist ein TikTok-Kanal ja eigentlich schon überfällig.
Lesetipps
Falls ihr noch ein paar Minuten übrig habt …
- Fakecast, deep tailoring, Luddite: Der Journalist Ole Reissmann hat ein „ABC of AI“ veröffentlicht. Scrollt euch doch mal durch: wie viele Begriffe kommen euch bekannt vor?
- Mensch-freundlich = KI-freundlich: Ein Beitrag von Dejan kommt zu dem Schluss, dass KI-Systeme Inhalte ähnlich wie Menschen scannen. Das Fazit: kommt früh auf den Punkt und gestaltet Inhalte so, dass die kognitive Belastung für Leser*innen (und KIs) reduziert wird.
- Disney ringt damit, Künstliche Intelligenz sinnvoll in seine Produktionen zu integrieren – während das Unternehmen gleichzeitig versucht, durch eine Klage gegen die Bild-KI Midjourney seinen wertvollen Kreativbestand zu schützen. Ein interessanter Longread im Wall Street Journal.